Technik gegen schwache Herzen

Während beim Herzinfarkt erhebliche Fortschritte erreicht wurden, bleibt die chronische Herzschwäche eines der Sorgenkinder der Inneren Medizin.
Herzmuskel.
Illustration: Andrew Thorpe by Marsha Heyer
Philip Grätzel von Grätz Redaktion

Die Zahlen sind eindeutig: Herzerkrankungen sind noch immer auf dem Vormarsch. Im Herzbericht der Deutschen Herzstiftung lässt es sich nachlesen: Allein zwischen 2010 und 2012 stieg die Zahl der Herzinfarkte um 4,8 Prozent. Auch die Zahl der Klinikeinweisungen wegen chronischer Herzschwäche steigt und steigt. Erstaunen kann das nicht, denn beides sind (auch) Alterserkrankungen.


Herzerkrankungen werden häufiger, aber sie werden nicht zwangsläufig auch schlimmer. Zumindest beim Herzinfarkt ist eher das Gegenteil der Fall: Die Sterblichkeit am Herzinfarkt sinkt. Seit den 80er Jahren ist sie um mindestens ein Viertel zurückgegangen. Allein zwischen 2010 und 2012 fiel die Zahl der Todesopfer durch Herzinfarkt trotz einer steigenden Zahl von Herzinfarkten um 5,4 Prozent.


Dieser Erfolg ruht auf zwei Säulen. Zum einen werden Patienten heute schneller effektiv behandelt. Lebensrettende Ballons und moderne Stents, mit denen Kardiologen die verstopften Blutgefäße wieder „freiräumen“ können, sind flächendeckend verfügbar. Auch das Bewusstsein in der Bevölkerung ist vorhanden: Wer Brustschmerzen hat, wählt den Notruf. Das ist bei Schlaganfällen anders.


Der zweite Grund dafür, dass die Sterblichkeit beim Herzinfarkt sinkt, sind bessere medikamentöse Therapien. Vor allem die Hemmung der Blutplättchen und die Absenkung des Cholesterins können erneute Herzinfarkte verhindern. Trotzdem: Noch immer sterben in Deutschland pro Jahr mehr als 50.000 Menschen an einem Herzinfarkt. Etwa jeder vierte Infarkt verläuft weiterhin tödlich.


Lässt sich das ändern? Die medikamentöse Behandlung gilt zumindest im Moment als weitgehend ausgereizt. Mehr Spielräume gibt es bei medizintechnischen Innovationen. Einen Eindruck über aktuelle Entwicklungen gab Anfang September der Europäische Kardiologenkongress in London, mit über 30.000 Teilnehmern der größte Fachkongress für Herzmedizin weltweit.


Ein Highlight war die BACC-Studie, die von Professor Dirk Westermann vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf präsentiert wurde. In der BACC-Studie wurde untersucht, ob mit einem neuen Labortest Herzinfarkte, die sich nicht durch EKG-Veränderungen verraten, schneller erkannt werden können. Zum Einsatz kam ein hoch empfindlicher Test für Troponin I, ein Eiweiß, das im Herzmuskel vorkommt. Troponine werden seit Jahren für die Herzinfarktdiagnostik genutzt. Die neuen Tests sind sehr viel empfindlicher und können kleinste Konzentrationen nachweisen.


Die Frage der BACC-Studie war, ob es möglich ist, schon innerhalb einer Stunde zu klären, ob ein Herzinfarkt vorliegt oder nicht. Bisher dauerte das drei Stunden. Tatsächlich konnten die Hamburger zeigen, dass sich mit dem neuen Diagnosealgorithmus ein Herzinfarkt bei vier von zehn Patienten mit unklarem Brustschmerz innerhalb einer Stunde definitiv ausschließen lässt. Bei weiteren 12 Prozent steht die Diagnose nach einer Stunde definitiv fest. Anders ausgedrückt: Ein erheblicher Teil der Patienten kann künftig noch schneller versorgt werden. „In Hamburg führen wir diesen Test deswegen jetzt in die Routine ein“, so Westermann.


Auch bei den Stents, mit denen beim Herzinfarkt die verschlossenen Blutgefäße wieder geöffnet werden, scheint noch nicht das letzte Wort gesprochen. Erstmals wurden jetzt statt der bisher üblichen Metallgerüste bei Patienten mit Herzinfarkt bioresorbierbare Stents erprobt. Auch hier sind die Ergebnisse vielversprechend: Obwohl die Stents biologisch abbaubar sind, schnitten sie in der TROFI II-Studie nicht schlechter als die beschichteten Metallröhrchen ab. Die Hoffnung ist, dass die „Bio-Stents“ langfristig sogar besser sind, weil sie die Blutgefäße in ihrer natürlichen Funktion weniger stark beeinträchtigen. Das freilich ist bisher noch unbewiesen.


Schwerer als mit dem Herzinfarkt tun sich die Kardiologen mit der chronischen Herzschwäche. Diese Erkrankung ist weiterhin fast so tödlich wie bösartige Krebserkrankungen. Der letzte große Fortschritt kam hier ebenfalls aus der Medizintechnik: Kardiale Implantate, die gefährliche Herzrhythmusstörungen mit elektrischen Entladungen beenden können („ICD“) und solche, die linke und rechte Herzkammer synchronisieren („CRT“), verlängern, wenn sie bei den richtigen Patienten eingesetzt werden, das Leben.


Derzeit wird versucht, durch eine Fernüberwachung noch mehr aus den Implantaten herauszuholen. Gelungen ist das in der vor anderthalb Jahren vorgestellten IN-TIME-Studie, in der die Implantate täglich Daten per Funk übermittelten. Dadurch konnten unter anderem Herzrhythmusstörungen noch früher erkannt werden, was letztlich dazu beitrug, dass die Patienten länger lebten. Nicht zuletzt aufgrund dieser Studie verhandeln in Deutschland zur Zeit Krankenkassen und Ärzte über eine Ausweitung der Erstattungsmöglichkeiten für das Telemonitoring von Herzimplantaten.


In London allerdings zeigte sich jetzt, dass die Fernüberwachung nicht zwangsläufig hilft. In der von Professor Michael Böhm von der Universität des Saarlandes geleiteten OptiLink-Studie wurde eine andere Art des Telemonitorings untersucht: Herzimplantate wurden mit einer Impedanzmessung ausgestattet, die Alarm schlug, wenn sich im Brustkorb Flüssigkeit ansammelte. Das funktionierte nicht: Weder bei der Sterblichkeit noch bei den Klinikeinweisungen hatten die Patienten in der Telemonitoring-Gruppe einen Vorteil. Auch in der Kardiologie klappt nicht immer alles.

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