Sensoren ergänzen die Sinne

Die rekonstruktive Medizin entwickelt sich in einem rasanten Tempo. Digitalisierung und Robotik bestimmen die Protethik. Die moderne Chirurgie verzeichnet innovative Fortschritte – etwa nach Brustkrebs.
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Illustration: Andrew Thorpe by Marsha Heyer
Annette Behr Redaktion

Unversehrtheit ist unser höchstes Gut“, sagt eine Frau beim Anblick der künstlerisch anmutenden prothetischen Hand. Sie trägt den Namen „Michelangelo“ und ist ein  Herzstück aus dem Hause Otto Bock. Im Berliner Ausstellungsraum des Unternehmens, dem „ScienceCenter“ ist neben der Hand die dauerhafte interaktive Ausstellung „Begreifen, was uns bewegt“ zu bestaunen. Auch die einfachen Prothesen, die der Orthopädie-Meister Bock 1919 für Kriegsversehrte entwickelt hatte.


Diese haben allerdings mit den futuristischen Modellen von heute kaum noch etwas gemein. Außer, dass sie dem Menschen Mobilität und Lebensqualität ermöglichen. Denn wenn, durch Erkrankungen oder Unfälle, Einschränkungen der Beweglichkeit oder die Amputation von Extremitäten erforderlich sind, ist ein Plan B eine gute Option.


Intuitiv gesteuert

Bereits seit mehreren Jahren unterstützen Mikroprozessoren die Bewegungsabläufe in Prothesen. Dazu werden Elektroden unter die Haut an die verbliebenen Muskeln angeschlossen, um die Steuerung der künstlichen Glieder zu optimieren. Eine Knieprothese und dazu eine mit Hydraulik ausgestatteter Fuß, ist das derzeit beste Lauf-System auf dem Markt. Mit dem „Genium X3“ beispielsweise, ist neben langsamen Joggen sogar Wassersport möglich. Denn die Prothese ist wasserdicht.


„Durch die Digitalisierung wird sich der Fortschritt noch extrem verbessern“, meint  Orthopädietechnikermeister Wolid Sharif. Dann wird die Michelangelo-Hand, mit erweiterbarem Arm, mittels Sensoren in den Fingerkuppen in der Lage sein, intuitiv zu funktionieren. Neben warm und kalt, ist dann echtes Fühlen wieder möglich. Dem Ziel, sich dem menschlichen Vorbild sowohl in in der Ästhetik wie auch in den funktionalen Ansprüchen anzunähern, kommt diese Technik sehr nah. Die Kommunikation zwischen den einzelnen System-Komponenten wird durch Bluetooth-Technik und via Handy-App gesteuert.


Auf die Beine helfen

Die Bionik, also die Verknüpfung von Mensch und Technik, ist auch im Bereich der Rehabilitation wegweisend. Medizingerätehersteller bieten mechanische Exoskelette, also eine Art Roboteranzug, für Querschnittgelähmte an, die Bewegungsimpulse lesen und ausführen können. Allerdings konnte bisher niemand der etwa 1,5 Millionen Menschen, die in Deutschland nach einem Unfall oder aufgrund eines Schlaganfalls gelähmt sind, auf einen Rollstuhl verzichten. Hoffnung bereiten die ersten HAL (Hybrid Assistive Limb)-Exoskelette. Denn mittels Elektroden auf der Haut des Patienten werden elektrische Signale empfangen und in die beabsichtigte Bewegung des Exoskeletts umgesetzt. Der Patient kann mit dem HAL-System aktiv in die  Bewegungen eingreifen. Sogar rückwärtsgehen ist mit den Robotern möglich. Vorraussetzung ist allerdings,  dass bei den Patienten noch eine Restaktivität in der Muskulatur vorhanden ist.


Operieren, korrigieren, erhalten

Neben der Behandlung und Mobilisierung der körperlichen Funktionalität, ist auch die Wiederherstellung des optischen Erscheinungsbildes maßgeblich für die Gesundung des Menschen. Die rekonstruktive Chirurgie leistet auf diesem Gebiet Phänomenales.


Unterstützt werden die feinen Fingerfertigkeiten der Fachärzte durch die  Schlüssellochchirurgie.  An der Berliner Charité wird seit 2014 mit dem robotergesteuerten DaVinci-System gearbeitet. Es operiert allerdings nicht der Roboter, denn alle Operationsschritte werden von den Ärzten selbst durchgeführt. Daher handelt es sich um computerassistierte Eingriffe. Das System überträgt die Bewegungen optimal an den Behandlungsort, ohne Wackeln der Instrumente. Zusätzlich hat es den Vorteil der 3-D-Sicht im Bauch des Patienten, der Vergrößerung des Bildes und der höheren Präzision beim Operieren. „Das DaVinci-System wird in der Gynäkologie bei Gebärmutter- und Gebärmutterhalskrebs eingesetzt“, sagt Jens-Uwe Blohmer, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Brustzentrum der Charité.


Jens-Uwe Blohmer ist auch auf dem Gebiet der Brustkrebserkrankungen Experte. Nach einer Tumorerkrankung wird möglichst brusterhaltend operiert. Ist eine  Brustentfernung nötig, kann „als erster Schritt die Sofortrekonstruktion während einer Operation mit Implantaten, unterstützt durch synthetische und künstliche Netze erfolgen“, so Blohmer. „Zunehmen wird der Einsatz von Eigenfett, das aus dem Bauch, Po, oder Oberschenkeln abgesaugt, gefiltert, gewaschen und danach in die zu rekonstruierende Brust gespritzt wird“, ergänzt er. Das „Lipofilling“ allein reicht aber zur Rekonstruktion der Brust nicht aus. Daher werden weitere Studien auf diesem Gebiet durchgeführt. Komplikationen sollen vermieden, die Technik sicherer werden, um so ein möglichst ästhetisches Ergebnis zu erlangen.
   


Universelle Fertigkeiten

Auch in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie kommt es auf die ästhetische Versorgung an. Hier hält zunehmend die Digitalisierung Einzug. Vor einer Operation werden Patientendaten erfasst und in eine Art Navigationssystem eingespeist, dass den Chirurgen während der Operation unterstützt. Auf einem Bildschirm wird entsprechend angezeigt, wo agiert werden muss. Erkrankte oder zerstörte Gesichtsteile können operiert werden. Gut möglich, dass demnächst Teilarbeiten  von Robotern ausgeführt werden. Über sämtliche Fertigkeiten muss der Operateur aber dennoch verfügen, um auf Unvorhersehbares reagieren zu können. Die Gesamtbreite von Fertigkeiten, Technik und Improvisation kann eben nur der Mensch, mit seinen heilenden Händen, leisten.

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