Menschen steuern Maschinen

Roboter und vernetzte Systeme sind aus der Medizin kaum mehr weg- zudenken. Wie viel Verantwortung dürfen sie übernehmen?
Illustrationen: Yvonne Schulze
Illustrationen: Yvonne Schulze
Olaf Strohm Redaktion

Der Patient, der sich mit unklaren Symptomen in der Notaufnahme vorstellt, könnte mit dem Corona-Virus infiziert sein. Um keinen anderen Menschen der Gefahr einer Ansteckung auszusetzen, schicken die Ärzte „Spot“ vor. Der von der Firma Boston Dynamics entwickelte Roboter hat vier Beine und imitiert Laufmuster von Hunden. Das macht ihn beweglich, sorgt aber für Sympathie bei den Patienten. Mittels einer Infrarotkamera und drei monochromen Kameras, die Licht unterschiedlicher Wellenlängen filtern, ist er in der Lage, die Hauttemperatur, die Atemfrequenz, die Pulsfrequenz und die Sauerstoffsättigung des Blutes aus einer Entfernung von zwei Metern zu messen. Er kann die Erstdiagnose stellen, bevor der Patient einer tiefergehenden Untersuchung unterzogen wird.

 

Dieses Szenario ist Teil einer Studie zum Einsatz von Robotern in der Medizin, die das US-amerikanische Massachusetts Institute of Technology (MIT) entwickelt hat. „Bei der Robotik ist eines unserer Ziele, mit Hilfe von Automatisierung und Techniken Menschen von gefährlichen Arbeiten zu befreien“, so MIT-Mitarbeiter Henwei Huang gegenüber dem Magazin „Ingenieur”. „Wir dachten, es sollte möglich sein, einen Roboter einzusetzen, um Vitalparameter beim Erstkontakt zu erfassen.“ Die Forscher haben eigens für dieses Erstanamnese-Szenario den Roboter „Spot” mit den hierzu erforderlichen Algorithmen ausgestattet.

 

Aus dem OP sind Roboter längst nicht mehr wegzudenken. Sie operieren präzise und minimalinvasiv. Sie werden in der Krebstherapie und bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen eingesetzt. Vorreiter ist die Urologie. Während in den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Dänemark heute bereits 90 bis 95 Prozent der Prostataentfernungen mithilfe von OP-Robotern durchgeführt werden, liegt der Anteil in Deutschland bei rund 60 Prozent. Die Roboter bieten dabei keine Überlegenheit bei der Sterblichkeit. Einige Studien deuten aber auf geringere Blutverluste, weniger intraoperative Komplikationen, einen kürzeren Krankenhausaufenthalt sowie ein geringeres Impotenz- und Inkontinenzrisiko hin. Aber einen Roboter zur Anamnese einzusetzen? Als Erstkontakt mit dem Patienten? Dieser Idee haftet etwas Unheimliches an.

 

Und doch gelten Roboter ausgerechnet bei der Pflege alter Menschen als zukunftstauglich. Doch wie ist Einsatz von Robotern in der Medizin oder in der Pflege alter Menschen ethisch zu bewerten? Mit dieser Frage hat sich Prof. Alena Buyx beschäftigt, Professorin für Ethik der Medizin und Gesundheitstechnologien an der Technischen Universität München und Mitglied des Deutschen Ethik-Rates. Sie hat gemeinsam mit einem interdisziplinären Team den so genannten „embedded ethics approach“ in der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz entwickelt. Die Wissenschaftler haben überlegt, wie man ethische Aspekte von Beginn an in den Entwicklungsprozess neuer Technologien integrieren könnte.

 

Die These: Ethik muss in der Entwicklung von KI-basierten Gesundheitstechnologien von Beginn an eine Rolle spielen. Doch wie könnte das in der Praxis aussehen? Wie könnten Ingenieure oder Designer für das Thema sensibilisiert werden? „Ethik soll als fester Bestandteil in den Forschungsprozess integriert werden, indem Ethikerinnen und Ethiker ab Tag eins Teil des KI-Entwicklungsteams sind”, erläutert Buyx. „Sie sind zum Beispiel regelmäßig bei Team-Meetings mit dabei und können sowohl eine Art ‘ethical awareness’ für bestimmte Themen schaffen, als auch gezielt ethische und soziale Fragen aufwerfen und analysieren.”

 

Ein Anwendungsbeispiel gibt es bereits. Im Forschungszentrum Geriatronik in Garmisch-Partenkirchen werden Roboter-Assistenten entwickelt, die Menschen ein selbstständiges Leben im Alter ermöglichen. Dort wird der Bau von Modell-Wohnungen geplant, in denen das Zusammenleben von Senioren und Robotern erprobt wird. „Bei einem gemeinsamen Treffen mit den beteiligten Ingenieurinnen und Ingenieuren hatten wir festgestellt, dass die Idee, die Wohnungen komplett nach ‘open plan’ also kaum Türen oder einzelne Räume zu bauen, den Robotern zwar viel Bewegungsfreiheit lässt”, so Buyx. „Bei den Seniorinnen und Senioren könnte das aber zu Irritation führen, da sie Rückzugsorte gewohnt sind. Diesen Aspekt hatten die Ingenieurinnen und Ingenieure zunächst nicht explizit bedacht.”

 

Vorurteile, Ängste – in keiner anderen Branche ist der Einsatz von Robotern, ja überhaupt digitaler Technik, derart emotional besetzt wie in der Medizin. Es geht dabei nicht allein um den Schutz von Gesundheitsdaten, um eine Kommunikation, sondern um Vertrauen, um die Angst vor Verletzung der körperlichen und psychischen Unversehrtheit.

 

Noch aber handelt es sich bei den Robotern im medizinischen Einsatz nicht um Verteter einer Künstlichen Intelligenz, die eigenständige Entscheidungen trifft, sondern vielmehr um künstliche Assistenten. Roboter rechnen Handbewegungen des Arztes auf eine andere Größenordnung um, überwachen die Schnittführung des Chirurgen und stoppen das OP-Gerät, wenn der Schnitt nicht korrekt angesetzt wird.

 

Undenkbar ist, dass Roboter selbstständig Operationen vornehmen. Zu viele Entscheidungen müssen während einer OP getroffen werden. Zudem lässt sich jahrelange ärztliche Erfahrung nicht einfach in irgendeine Programmiersprache übersetzen. Vor allem der letzte Punkt, die Erfahrung, wird dafür sorgen, dass Roboter die Ärzte noch sehr lange nicht ersetzen werden – wenn überhaupt. Als Assistenten mit einer ruhigen Hand, die präzise Schnitte ausführen können, leisten sie aber wertvolle Dienste.

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