Impfpass auf dem Smartphone

Das digitale Gesundheitswesen rückt näher, immer mehr Krankenkassen bieten elektronische Gesundheitsakten an.
Illustration: Xinwei Zhang
Philipp Grätzel von Grätz Redaktion

Im europäischen Vergleich ist Deutschland bei der Digitalisierung ein Nachzügler. Erst im Sommer wurde das einmal mehr deutlich, als die EU-Kommissionen ihren neuen Index für die digitale Wirtschaft und Gesellschaft (DESI 2018) vorstellte. Dieser Bericht ist aus deutscher Sicht eine deprimierende Lektüre. In der Gesamtschau steht Deutschland dort auf Platz 14 von 28 EU-Mitgliedsstaaten. Das ist nicht besonders gut. Ganz finster sieht es aber bei den elektronischen Gesundheitsdiensten aus. Hier landet Deutschland auf Rang 26. Viel schlechter geht kaum.


Ins Positive gedreht: Es kann eigentlich nur noch aufwärts gehen. Und tatsächlich deutet sich eine Art Aufholjagd an. Krankenversicherungen haben sich dem Aufbau elektronischer Patientenakten verschrieben. Immer mehr Ärztekammerbezirke räumen den Weg für Fernbehandlungen frei. Und das Bundesgesundheitsministerium schickt sich unter neuer Führung an, einige alte Zöpfe der deutschen E-Health-Politik abzuschneiden, was die Nutzung mobiler Dienste deutlich erleichtert.


Eine große Baustelle ist weiterhin der Aufbau einer digitalen Infrastruktur für die Kommunikation zwischen medizinischen Einrichtungen. An diese Telematikinfrastruktur werden Arztpraxen seit Ende 2017 schrittweise angeschlossen. Ein Dreivierteljahr lang gab es mit der CompuGroup Medical (CGM) nur ein Unternehmen, das das wichtigste Bauteil für den Anschluss der Arztpraxen, den Konnektor, liefern konnte. Die CGM deckt mit ihren IT-Systemen rund die Hälfte der Arztpraxen in Deutschland ab und hat mittlerweile etwa 30.000 Praxen an das Netzwerk angeschlossen.


Im Sommer ist es nun der Deutschen Telekom gelungen, einen zweiten Konnektor zur Zertifizierung zu bringen, mit dem jetzt der zweite Großanbieter von Praxis-IT-Systemen arbeitet, medatixx, das rund 21.000 Arztpraxen unter Vertrag hat. Die Bamberger gehen jetzt in den bundesweiten Rollout: Bis zu 400 Konnektoren sollen pro Woche installiert werden. Die Anbindung der medatixx-Kunden könnte also bis etwa Mitte 2019 erledigt sein. Dieser Termin ist wichtig, denn Arztpraxen, die sich nicht vernetzen, drohen finanzielle Sanktionen. Bisher steht Ende 2018 als Termin im Gesetz, doch der gilt als nicht haltbar. Eine Petition der Ärzteschaft, um die Frist zu verlängern, wurde gestartet. Demnächst wird sich wohl der Deutsche Bundestag damit beschäftigen.
 

Mit der Telematikinfrastruktur können die Chipkarten der Krankenkassen elektronisch aktualisiert werden. Außerdem sollen medizinische Einrichtungen Arztbriefe, Befunde und andere Daten und Dokumente sicher austauschen. Das alles dürfte, wenn die Arztpraxen einmal angeschlossen sind, relativ zügig kommen, zumal sich mittlerweile auch die Gesetzliche Krankenversicherung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft auf eine Finanzierung geeignet haben. Damit werden bald auch die Krankenhäuser Teil des digitalen Netzwerks des deutschen Gesundheitswesens.


Und was ist mit dem Patienten? Der soll vor allem über mobile Anwendungen in die digitale Gesundheitskommunikation eingebunden werden. Die Stichwörter lauten elektronisches Rezept und elektronische Patientenakte. Während sich das elektronische Rezept noch in der Planungsphase befindet, hat sich bei den elektronischen Akten einiges getan. So bietet die Techniker Krankenkasse ihren Versicherten unter dem Namen TK Safe eine Gesundheitsakte von IBM auf dem Smartphone an, derzeit im Betatest. Eine Gruppe von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen um DAK Gesundheit, IKK classic und Allianz hat Mitte September ebenfalls eine solche Handy-Akte unter dem Namen Vivy gestartet. Sie kann seither von 13 Millionen Versicherten gratis heruntergeladen werden. Die Axa bietet Versicherten unter dem Namen Meine Gesundheit eine Akte an, die auf der CGM-Plattform CGM Life basiert. Und auch die AOK hat eine Akte in der Mache.


Die genannten Akten gestatten es, Dokumente zu archivieren, Medikationslisten und Impfpässe anzulegen oder sich an Termine erinnern zu lassen. Bald sollen auch mobile Sensoren angebunden werden. Weder die Krankenkassen noch die IT-Dienstleister haben auf die Daten Zugriff, nur der Nutzer bestimmt, wer hineinschauen darf. Die große Herausforderung wird aber die Verknüpfung mit den Arzt- und Kliniksystemen. Erst wenn das gelingt, werden die neuen Akten so richtig nützlich.


Die Politik will dazu die Telematikinfrastruktur nutzen. Dazu werden sich die Kassenakten früher oder später einer Zertifizierung unterwerfen müssen, wahrscheinlich durch die gematik, die gemeinsame IT-Gesellschaft des deutschen Gesundheitswesens. Das derzeit in Abstimmung befindliche Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) soll hier die gesetzlichen Grundlagen schaffen, doch wird das noch eine Weile dauern. Bis dahin sind die Krankenversicherungen relativ frei, was Vor- und Nachteile hat. Zu den Vorteilen zählt, dass relativ zügig Schnittstellen zu einzelnen IT-Systemen von Ärzten oder Krankenhäusern gebaut werden können. Zwei Beispiele: Die Arzt-Systeme von medatixx sollen im ersten Halbjahr 2019 mit der Vivy-Akte verknüpft werden. Und die TK Safe-Akte kann bereits jetzt mit den IT-Systemen der Agaplesion-Kliniken kommunizieren.


Das Problem dabei ist, dass es keine einheitlichen Standards gibt. Das betrifft auch den Datenschutz. Um die Vivy-Akte tobte bereits wenige Tage nach ihrem Launch eine große Debatte, weil sie Analyse-Tools einsetzte, die in der Datenschutzerklärung nicht aufgeführt waren. Der Hersteller hat mittlerweile gegengesteuert. Wie wichtig eine gewisse Einheitlichkeit bei den Patientenakten ist, zeigt sich auch an der neuen Hightech-Strategie der Bundesregierung. Dort wird gefordert, dass die elektronischen Patientenakten auch für Forscher nutzbar sein sollen, Patienteneinverständnis vorausgesetzt.


Ohne einheitliche technische und inhaltliche Standards ist das undenkbar. Immer mehr Experten fordern deswegen eine neutrale Instanz, die den Markt elektronischer Patientenakten koordiniert. Der Spitzenverband IT-Standards im Gesundheitswesen (SITiG) hat gemeinsam mit dem IT-Verband Bitkom eine Bundesagentur für Digitalisierte Medizin vorgeschlagen. In der Politik wird das skeptisch gesehen, auch weil die Gründung einer neuen Behörde sehr zeitaufwändig ist.

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