Neue Wege in der Medizin

Die Redaktion befragt Akteure zu den Herausforderungen auf ihrem Fachgebiet.
Februar 2017 Die Zeit Zukunft Medizin

»Digitalisierung macht Patientenversorgung effizienter.«

Joachim M. Schmitt Geschäftsführer & Vorstandsmitglied; Bundesverband Medizintechnologie

Die Digitalisierung wird die Medizin revolutionieren. Sie wird helfen, die Gesundheitsversorgung effizienter zu gestalten. Das ist auch erforderlich, damit wir die Herausforderungen durch eine immer älter werdende Gesellschaft mit mehr chronisch Erkrankten meistern können. Die Digitalisierung wird helfen, Krankheiten früher zu erkennen, die Dauer der Klinik-aufenthalte zu verkürzen und durch Telemedizin, Apps oder Pflegeroboter länger mobil zu leben.

Ein Beispiel ist die Telekardiologie. Dabei geht es um die telemedizinische Versorgung und Nachsorge von Patienten mit Herzschrittmachern. In zahlreichen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Telekardiologie die Mortalität senkt und die Lebensqualität der Patienten durch ein besseres Sicherheitsgefühl steigert. Gleichzeitig hilft sie, Kosten zu sparen, da sie zu einer deutlichen Verringerung von Krankenhausaufenthalten führt.

Ein weiteres Beispiel aus der BVMed-Mitgliedschaft sind Therapieempfehlungen durch Big-Data-Anwendungen. Dadurch wird ein personalisiertes Krebsmanagement durch moderne Diagnostik-Software unter Einschluss der DNA-Sequenzierung von Tumorgewebe ermöglicht.
Ein drittes Beispiel ist der „closed loop“ für Diabetiker. Damit ist ein System gemeint, das den Blutzuckerspiegel misst und automatisch die richtige Menge Insulin abgibt. Durch moderne Medizintechnologien, bessere Sensoren und ausgefeiltere Algorithmen wird diese technische „künstliche Bauchspeicheldrüse“ nun Realität.

Um die Chance der Digitalisierung besser nutzen zu können, muss Deutschland insbesondere beim Thema Datenschutz nachbessern. Wir brauchen beim Datenschutz einen risikobasierten und europaweit einheitlichen Ansatz. Wir brauchen sinnvolle Datenschutzregelungen, die die Datennutzung für den Patienten und die Versorgungsforschung ermöglichen.

www.bvmed.de

Februar 2017 Die Zeit Zukunft Medizin

»Hoffnungsvolle Perspektiven für Menschen mit Schmerzen.«

Birgit Fischer Hauptgeschäftsführerin; Verband forschender Pharmafirmen

Ist ein Krankheitssymptom nicht technisch messbar, wird es leicht unterschätzt und übergangen; zumal, wenn es sich nicht einem einzelnen medizinischen Fachgebiet zuordnen lässt. Mit diesem Handicap müssen in Deutschland viele Millionen Menschen leben, die an chronischen Schmerzen leiden. Um dem zu begegnen, haben viele Kliniken fachübergreifende Schmerzambulanzen eingerichtet. Weiterer Fortschritt – zu dem auch ein geringerer Schmerzmittelverbrauch zählt – kann für die Patienten durch bessere Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren im Gesundheitswesen erreicht werden. Das haben Projekte der Versorgungsforschung wie etwa „Schmerzfreie Stadt Münster“ gezeigt, bei denen Krankenhäuser und Pflegeheime, Arztpraxen, Krankenkassen und Pharma-Unternehmen mitgewirkt haben.
Doch nicht alle Herausforderungen der Schmerztherapie lassen sich so lösen: Für bestimmte Behandlungssituationen werden neue Medikamente benötigt. Mehr als ein Viertel der forschenden Pharma-Unternehmen arbeitet deshalb an neuen Mitteln zur Verhütung oder Linderung von Schmerzen. So können bei Patienten mit metastasiertem Prostatakrebs die belastenden Knochenschmerzen dank neuer Medikamente deutlich reduziert werden. Ähnliches gelingt seit kurzem bei einigen Patienten mit bisher schwer behandelbarem Gelenkrheuma. In Studien hat ein neues Medikament bei Patienten mit Complex Regional Pain Syndrome (CRPS), einer seltenen, schweren Komplikation bei der Abheilung von Verletzungen, Wirkung gezeigt. Auch Patienten mit häufigen Migräne-Anfällen können hoffen, dass in einigen Jahren neue, auf Antikörpern beruhende Medikamente verfügbar werden, die die Zahl der Schmerztage wesentlich reduzieren. Zusammen mit den weiteren Facetten der Schmerztherapie eine hoffnungsvolle Perspektive für Menschen, die heute noch mit schweren Schmerzen leben müssen.

www.vfa.de

Februar 2017 Die Zeit Zukunft Medizin

»Translationale Netzwerke: Innovationen im Praxistest.«

Dr. Johannes Bruns Generalsekretär; Deutsche Krebsgesellschaft

Der rasante Zuwachs an medizinischem Wissen hat die Möglichkeiten zur Krebsdiagnose und -therapie enorm erweitert. Allerdings ist der Weg vom Labor zum Krankenbett noch immer weit. Wie also kommen Innovationen schnell und dennoch sicher in die klinische Anwendung?

Grundsätzlich gehört Deutschland zu den Ländern, in dem zugelassene Medikamente vergleichsweise rasch zur Verfügung stehen. Andererseits drängen hierzulande immer wieder nicht-medikamentöse Neuerungen ungeprüft und ohne Qualitätsvorgaben in die Krebsversorgung. Da ist zum Beispiel die minimal-invasive robotergestützte komplette operative Entfernung der Prostata bei Prostatakrebs. Direkte Vergleichsstudien, ob der Eingriff mit Roboter besser ist als ohne, fehlen leider. Ähnlich ist die Situation in der Diagnostik, etwa beim Einsatz genetischer Tests zur Unterstützung der Therapieentscheidung. Bei vielen Leistungen an der Schwelle zur Regelversorgung wissen wir nicht genau, wie sie im Vergleich zum etablierten Standard abschneiden – trotzdem kommen sie zum Einsatz.

Die Lösung für dieses Problem könnte eine Probezeit für Innovationen sein. Dabei erfolgt der Zugang zu einer neuen Gesundheitsleistung für eine begrenzte Zeit ausschließlich über sogenannte translationale Netzwerke. Dort arbeiten stationäre und ambulante Einrichtungen eng zusammen. Sie verpflichten sich, die Innovation gut dokumentiert anzuwenden und testen dadurch ihre Tauglichkeit im Versorgungsalltag. Der Vorteil für die Patienten: Sie werden unter kontrollierten Bedingungen betreut. Eine solche wissensgenerierende Versorgung liefert solide Daten, um den Nutzen der Innovation beurteilen zu können. Und am Ende hätten wir bessere Argumente für oder gegen die Aufnahme einer neuen Leistung in die Regelversorgung.

www.krebsgesellschaft.de