Demenzkranke müssen besser integriert werden

Demenz mit ihrer häufigsten Form Alzheimer wird zum Schrecken des hohen Lebensalters. Immer mehr Menschen erkranken daran. Die gesellschaftliche Akzeptanz der Erkrankten ist eine große Herausforderung.
Illustration: Ivonne Schulze
Illustration: Ivonne Schulze
J.W. Heidtmann Redaktion

Das Lehmbruck-Museum in Duisburg bietet heute eine spezielle Führung für Menschen mit Demenz an. Es ist eine besondere Besuchergruppe, die da zur Tür herein kommt, aber die Führung laufe nicht grundsätzlich anders ab als sonst, sagt Kunstvermittlerin Sybille Kastner. „Besonders ist sie nur in der Art und Weise, wie man den Zugang zur Kunst verschafft.“ Die Besucher dürfen Kunstwerke anfassen, sie erspüren. Die Führungen sollen Demenzkranke ermutigen, Kunstwerke auf eigene Weise mit allen Sinnen zu entdecken, so die Idee. „Freiräume und Austausch“ seien wichtiger als kunsthistorische Betrachtungen. Entstanden ist das Projekt, das im Video dokumentiert wurde, in Kooperation mit dem Demenz Servicezentrum Westliches Ruhrgebiet. In elf Museen der Region werden spezielle Museumsführungen durchgeführt, die sich direkt an den Interessen und Erfahrungen der betroffenen Besucher orientieren.

Das Projekt im Lehmbruck-Museum gehört zu den so genannten „Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz“ mit dem Ziel, die Akzeptanz von Menschen mit demenziellen Erkrankungen zu fördern. Bereits heute sind mehr als 1,6 Millionen Menschen in Deutschland an Demenz erkrankt, die weitaus meisten davon an Alzheimer. Ihre Zahl wird in den nächsten Jahren aufgrund des demographischen Wandels stark steigen (siehe Infografik). Die Unterstützung der an Demenz erkrankten Menschen und ihrer Angehörigen gehört daher in den kommenden Jahren zu den großen Herausforderungen für die Gesellschaft.

„Eine Demenzdiagnose darf nicht zum Ausschlusskriterium unserer Gesellschaft werden“, heißt es beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das die Allianzen fördert. „Wir brauchen vor Ort Strukturen, die Erkrankten und ihren Familien konkret helfen, trotz Demenz ihren Alltag so normal wie möglich weiterzuleben.“ Die Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz werden vom Bund über einen Zeitraum von zwei Jahren mit jeweils 10.000 Euro bezuschusst. Sie arbeiten auf kommunaler Ebene. Mehr als 500 dieser Allianzen gibt es bereits.
 

Demenzkranke nicht allein lassen
 

So werden etwa in Bocholt interkulturelle Demenzbegleiter geschult, um Erkrankte mit Migrationshintergrund zu betreuen und mit ihnen zu kommunizieren. Im Klinikum Ludwigshafen kümmern sich ehrenamtliche Demenzbegleiter um Patienten mit kognitiven Einschränkungen. Im „Männerschuppen“ in Leinfelden-Echterdingen können Männer mit und ohne Demenz gemeinsam etwas basteln oder bauen. Und der Generationentreffpunkt im ostwestfälischen Enger veranstaltet nicht nicht nur Gesprächskreise für pflegende Angehörige und bietet Beratung an, sondern hier wird Sport getrieben, gespielt und Geschichten erzählt – Aktivitäten mit dem Ziel, Menschen mit Demenz in die Gemeinschaft zu integrieren.

Es gibt immer noch viele Vorurteile über Demenz, auch unter Ärzten. Dazu zählt etwa die immer noch – auch unter Ärzten – verbreitete Idee, dass Alzheimer einfach nur normales Altern sei, wofür es deshalb auch keine Behandlung geben könne. Ein verbreitetes Vorurteil besteht zum Beispiel darin, dass Menschen mit Demenz keine Lebensqualität erfahren, keine Freude empfinden und keine Bedeutung für andere mehr haben könnten. Die Autoren des Welt-Alzheimer-Reports 2012 fordern daher dazu auf, die noch immer vorhandenen Vorurteile und falschen Vorstellungen über Demenz zu beseitigen – und so die Stigmatisierung zu reduzieren.

Bei der häufigsten Form von Demenz, der Alzheimerschen Krankheit, wird im Gehirn zu wenig Acetylcholin produziert. Dieser Überträgerstoff ist notwendig für die Signalverarbeitung. Warum die Nervenzellen, die Acetylcholin herstellen, absterben, ist unbekannt. Alois Alzheimer, nach dem die Erkrankung benannt ist, fand heraus, dass dieses Absterben von Nervenzellen mit der Bildung von abnorm veränderten Eiweißbruchstücken einher- geht, die sich in Form von Fäserchen im Gehirn ablagern. Diese so genannten Neurofibrillenbündel führen letztlich zum Absterben der Nervenzellen und zu Gedächtnisverlust, Verwirrtheit und Desorientierung. Das Urteilsvermögen ist getrübt, die Sprachfähigkeit nimmt ab. Dazu kommen Wesensveränderungen. Betroffene können Depressionen entwickeln, aggressiv werden oder unter Rastlosigkeit leiden.

Es gibt keine Behandlung, die die Alzheimer-Krankheit heilen könnte. Menschen, die heute an der Krankheit leiden, können nur auf Medikamente zurückgreifen, die Symptome kontrollieren und den Verlauf der Erkrankung verlangsamen. In den letzten Jahren wurden in Deutschland vier Medikamente zur Behandlung der Alzheimer-Krankheit zugelassen. Sie tragen zur Verzögerung des Krankheitsverlaufs und zur Milderung der Symptome bei. Eine frühe Diagnose ist hilfreich, weil die Medikamente im Frühstadium am besten wirken.

Demenz früh erkennen – und gegensteuern
 

Im Frühstadium der Alzheimer-Krankheit sind viele Patienten eher antriebsschwach, was aber meist kaum auffällt. Kleinere Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen treten auf, die Lern- und Reaktionsfähigkeit nimmt ab. Die Erkrankten verschließen sich gegenüber Neuem und bevorzugen Gewohntes. Das Sprechen und Denken verlangsamt sich. Es kann passieren, dass Patienten mitten im Satz den Faden verlieren, sich unterwegs nicht mehr zurechtfinden oder vergessen, Rechnungen zu begleichen. Dementsprechend beginnen die Symptome der Krankheit sich mehr und mehr auf die Arbeit und den Alltag auszuwirken.

Wenn sich die Betroffenen ihrer Defizite bewusst werden, können Depressionen, Reizbarkeit und Rastlosigkeit die Folge sein. Obwohl Alzheimer nach wie vor nur durch eine Autopsie hundertprozentig diagnostiziert werden kann, können Ärzte heute mit sehr großer Sicherheit eine treffende Diagnose stellen. Indem sie den Verlauf der Erkrankung beobachten, medizinische Untersuchungen durchführen, Testverfahren nutzen, Gedächtnisleistungen messen und den psychologischen Status ermitteln, gelingt die genaue Eingrenzung des Krankheitsbildes.
 

Sich der Diagnose stellen
 

Nicht selten schämen sich Betroffene dafür, dass ihr Gedächtnis sie immer öfter im Stich lässt. Sie versuchen, die Krankheit so lange wie möglich zu verheimlichen. Was folgt, sind Misserfolge, Frust und Missverständnisse. Es ist aber wichtig, früh und professionell abzuklären, was der Auslöser der Vergesslichkeit ist, um mögliche Ursachen zu behandeln oder im Falle einer Alzheimer-Erkrankung frühzeitig mit einer Therapie zu beginnen. Auf der einen Seite können Gedächtnisprobleme Ursachen haben, die gut zu behandeln sind, auf der anderen Seite zeigen Medikamente, die den Verlauf der Alzheimer-Krankheit verzögern können, die beste Wirkung am Beginn der Krankheit. Die Basistherapie der Alzheimer-Demenz sieht derzeit drei Arten von Wirkstoffen vor: Antidementiva, Neuroleptika und Antidepressiva. Darüber hinaus können hirnleistungsfördernde Wirkstoffe wie Ginkgo zum Einsatz kommen. Neue Medikamente sind in der Entwicklung.

Der erste Ansprechpartner bei Gedächtnisproblemen ist der Hausarzt, der den Patienten dann eventuell an einen Neurologen, einen Psychiater oder an eine Gedächtnissprechstunde überweist. Gedächtnissprechstunden, auch Memory-Kliniken genannt, sind an Krankenhäuser angeschlossene Abteilungen, die sich auf Hirnleistungsstörungen spezialisiert haben. Generell gilt: Patienten haben ein Recht auf Frühdiagnostik. Liegen jedoch keine Beschwerden vor, wird ein Screening weder mittels Gedächtnistests noch mit anderen diagnostischen Verfahren empfohlen. Eine frühe Diagnose ist wichtig, da die zur Verfügung stehenden Behandlungen am besten wirken, wenn sie in einem möglichst frühen Stadium der Erkrankung eingesetzt werden.  

Alzheimer verläuft tödlich, doch es gibt offenbar Faktoren, die den Ausbruch der Erkrankung verhindern oder zumindest verzögern. Die Studienlage ist zwar noch relativ dürftig, aber gewisse Zusammenhänge können bereits nachgewiesen werden. So scheint etwa regelmäßiger Konsum von Obst und Gemüse dazu beizutragen, die geistige Leistungsfähigkeit im Alter zu erhalten. Durch eine Studie aus dem Jahr 2005 konnte belegt werden, dass betagte Frauen durch vermehrten Gemüsekonsum ein reduziertes Risiko für kognitive Beeinträchtigungen haben. Auch ältere Studien berichteten über einen positiven Einfluss von Obst und Gemüse auf die Gehirnleistung älterer Menschen.
 

Bewegung beugt vor
 

Vorbeugung gegen Alzheimer ist möglich: Durch ausreichend Bewegung wird nicht nur der Körper fit gehalten, sondern auch das Gehirn. Als ideal werden mindestens zwanzig Minuten pro Tag empfohlen. Keine Höchstleistungen, sondern Spaß an der Bewegung. Spazieren, Tanzen oder Schwimmen, nehmen Sie das Fahrrad statt des Autos und die Treppe statt des Aufzugs. Auch die Gehirnzellen müssen gefordert werden. Eintönige Verhaltensweisen und Rituale sollten durchbrochen werden. Gedächtnistraining kann Alzheimer vorbeugen. Auch Musizieren, Reisen, Karten spielen oder eine neue Sprache lernen hilft. Wichtig: sich immer wieder neue Herausforderungen suchen, den Alltag aktiv zu gestalten.

Empfohlen wird die so genannte mediterrane Ernährung: Olivenöl, Nüsse, viel Gemüse und Obst. Dabei wird das Gehirn mit wichtigen Nährstoffen versorgt, was die Abwehrbereitschaft stärkt. Fisch ist zur Vorbeugung von Alzheimer besser als rotes Fleisch. Ausreichend trinken ist wichtig, gerne auch Kaffee oder Tee. Eine präventive Wirkung von Koffein bei Alzheimer gilt als erwiesen. Rauchen, viel Alkohol und Übergewicht sind kontraproduktiv. Kommunikation mit anderen und Geselligkeit hält geistig fit. Wer viel allein ist, hat ein doppelt so großes Alzheimer-Risiko, als jemand mit viel sozialem Austausch. Gemeinsames Kochen, Kartenspielen, Musizieren oder Sporttreiben, privat, im Verein oder in der Volkshochschule, hilft gegen Alzheimer. Regelmäßige Treffen mit Freunden, Bekannten und der Familie. Offen bleiben für neue Begegnungen und neue Erfahrungen hilft auch gegen Demenz.

Ist die Erkrankung erst einmal ausgebrochen, schreitet sie nicht linear fort, sondern es ist ein Auf und Ab: Mal scheint es Patienten von einem Tag auf den anderen viel schlechter zu gehen, dann wieder scheint sich das Erinnerungsvermögen wieder zu erholen. Von den Menschen, die in Deutschland an der Alzheimer-Krankheit leiden, sind die meisten in sehr hohem Alter: Während nur drei bis vier Prozent bei den 70- bis 75-Jährigen betroffen sind, steigt die Häufigkeit der Erkrankung mit zunehmendem Alter an. Bei den über 90-Jährigen sind mehr als ein Drittel erkrankt. Man vermutet, dass die Dunkelziffer noch weit höher liegt.

Ist die Krankheit erst einmal ausgebrochen, ist Schonung die falsche Therapie. Angehörige sollten darauf achten, dass die Betroffenen nicht unterfordert sind. Ärzte raten, Betroffene in Alltagsaufgaben einzubinden. Sport, Spaziergänge und andere Formen der Bewegung beruhigen, erklärt die Deutsche Alzheimer Gesellschaft. Überforderung und Stress sollten vermieden werden.

 

Hintergrundinfos & Anlaufadressen 

 

Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Selbsthilfe Demenz

Friedrichstraße 236, 10969 Berlin
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft und ihre Mitgliedsgesellschaften sind Selbsthilfeorganisationen. Sie setzen sich bundesweit für die Verbesserung der Situation der Demenzkranken und ihrer Familien ein.
www.deutsche-alzheimer.de

 

Alzheimer Forschung Initiative
Kreuzstraße 34, 40210 Düsseldorf
Verein und Stiftung wollen Alzheimer-Forschung und die Aufklärung über die Krankheit fördern. Spenden an die Stiftung fließen unmittelbar in die Forschungsprojekte und Aufklärungsarbeit des Vereins.
www.alzheimer-forschung.de

 

Wegweiser Demenz
Glinkastraße 24, 10117 Berlin
Umfassendes Informationsportal. Herausgeber ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Mit Adressdatenbank und einem Link zu den Lokalen Allianzen für Menschen mit Demenz.
www.wegweiser-demenz.de

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