Keine Angst vor biblischem Alter!

Hundertjährige machen vor, wie man in Würde altert: „Turne bis zur Urne“, so lautet ihr Motto – und das unserer Kolumnistin.
Illustrationen: Sylvia Bespaluk by Marsha Heyer Illustratoren
Marie Fink Redaktion

Lisel Heise heißt die hundertjährige Dame, die jüngst in den Stadtrat eines pfälzischen Ortes gewählt wurde, weil sie sich mit beachtenswerter Energie für Jugend und Sport – in diesem Fall für den Bau eines Schwimmbads – eingesetzt hatte. „Schwimmen ist ein Lebenselixier“, meint sie und trifft damit den Zeitgeist agiler älterer Menschen. „Turne bis zur Urne“ ist nämlich kein alter Witz, sondern modernste Erkenntnis.


Die Lebenserwartung steigt – und damit die Hoffnung auf gute Jahre im Alter. Gab es im Jahr 2000 noch knapp 6.000 Hundertjährige in Deutschland, waren es 2017 schon fast drei Mal so viele. Und es ist tatsächlich noch nicht so lange her, da galt alles über 75 Jahre bereits als biblisch.


Seit langem versuchen Wissenschaftler herauszufinden, warum Menschen sehr alt werden. Genauer untersucht werden dabei die so bezeichneten Blauen Zonen, demografische und geografische Gebiete auf der Welt, in denen die Anzahl der über Hundertjährigen auffallend hoch ist. Ist es wirklich die lebenslange sportliche Bewegung, oder sind die Parameter gesundes Essen, fröhliche Lebenseinstellung und intakte Umwelt? Natürlich: Ja. Kein Geheimnis. Doch.


Schauen wir auf diese berühmte Region im Bergland von Sardinien, in der Demografen, Genetiker und Endokrinologen aus der ganzen Welt sich die Klinke in die Hand geben. Die erste Frage lautet: „Was essen die denn so?“ Natürlich keine Fertigpizza. Kennen die gar nicht. Bei der Essenszubereitung heißt es seit jeher „tutto autentico“ und „zero kilometre“. Eine äußerst moderne Einstellung, die Gretas „Friday for Future“-Freunde selbstverständlich umsetzen. Die Menschen haben sich ihren traditionellen Lebensstil bewahrt, wobei der Wohlstand durch Krankheitsprävention, Energieversorgung und wachsende Mobilität das Leben, wie bei uns auch, deutlich verbessert hat.


Natürlich wollen wir alle keine Bauern oder Hirten mehr sein, doch die krasse Kehrseite des modernen Berufslebens, die Nachteile wie sitzende Lebensweise, ungesunde Ernährung, mediale Dauerberieselung, zunehmende Vereinsamung – das wollen wir auch nicht. Genau das ist aber der Punkt, an dem sich das Zeitfenster der Langlebigkeit auftut oder dichtmacht. Denn es gibt sie, die Erklärung für ein gutes langes Leben, den einen Aspekt, der besonders herausragt:
 das soziale Umfeld.


Die jungen Alten leben in einer Gemeinschaft von der Kindheit über den Beruf bis hin zum Alter. Sie haben eine konstante Bindung an die Großfamilie von der ersten bis zur letzten Sekunde ihres Lebens. Ihre realen sozialen Netzwerke wirken unterstützend und ausgleichend. Sie erfüllen darin eine gleichwertige Funktion wie alle anderen Generationen, sie werden gebraucht. Der Kontakt mit gleichgesinnten Menschen – hier gern täglich beim Gläschen Wein auf der Piazza – wirkt sich positiv auf ihre Vitalität und Gesundheit aus.


Ein hohes Alter und kein bisschen krank ist schon sehr cool. Was können wir also von den Hundertjährigen lernen? Alt – aber nicht von gestern!

 

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