Eingriff ins Erbgut

Bahnbrechende Erfolge in der Gentherapie geben insbesondere Menschen mit seltenen Erkrankungen neue Hoffnung. Biochemiker Prof. Florian Kreppel erklärt die Hintergründe.
Illustrationen: Daniel Balzer
Interview: Julia Thiem Redaktion

Herr Prof. Kreppel, viele seltene Erkrankungen sind genetischen Ursprungs. Sind die aktuellen Erfolge in der Gentherapie deshalb ein Grund zur Hoffnung?
Lassen Sie mich zunächst etwas differenzieren: Es ist richtig, dass eine große Anzahl der seltenen Erkrankungen genetisch bedingt sind, aber eben nicht alle. Zudem kommt erschwerend hinzu, dass sich die genetisch bedingten seltenen Erkrankungen heterogen manifestieren. Während es in einem Fall zur Ausprägung X kommt, hat ein zweiter Fall derselben Erkrankung die völlig andere Ausprägung Y. Die aktuellen Erfolge in der Gentherapie geben natürlich Anlass zur Hoffnung. Allerdings können diese Erfolge nur erzielt werden, wenn die möglichen Ursachen sowie das gesamte Krankheitsgeschehen detailliert beschrieben sind. Das ist für viele, aber eben bei weitem noch nicht für alle seltenen Erkrankungen der Fall.

 

Eine erfolgreiche Gentherapie ist nur möglich, wenn man die zugrundeliegende Krankheit wirklich versteht?
Richtig. Vereinfacht ausgedrückt sorgen wir in der Gentherapie dafür, dass molekulargenetisch gesundes Erbgut gezielt in die betroffenen Zellen eingebracht wird. Wir müssen verstehen, welche Zellen oder Mechanismen im Körper fehlerhaft sind und dort das gesunde Erbgut platzieren. Manchmal gibt es sogar die Möglichkeit, andere, eigentlich nicht betroffene Zellen, als Ziel zu wählen. Die können dann mithilfe der eingebrachten Gene Stoffe produzieren, die für eine Heilung notwendig sind. Das kann aber nur gelingen, wenn wir die Krankheit möglichst umfassend verstehen. Grundsätzlich sind es sehr spannende Zeiten für die Gentherapie. Die Entwicklung steht gerade erst am Anfang und es ist gut möglich, dass für etliche weitere seltene Erkrankungen Gentherapien entwickelt werden können. Die US-Arzneimittelbehörde FDA rechnet ab dem Jahr 2025 beispielsweise damit, dass rund 20 neue Gentherapien pro Jahr zugelassen werden.

 

Wie genau funktioniert die Gentherapie aktuell?
Wir nutzen sogenannte virale Vektoren, um das gewünschte genetische Material in die betroffenen Zellen zu schleusen. Das Virus fungiert sozusagen als Gentaxi. Dabei setzen wir derzeit besonders auf Adeno-assozierte Viren, die beim Menschen nicht mit Krankheiten assoziiert werden. Die Schwierigkeit liegt darin, das richtige Gen für die Behandlung der richtigen Krankheit in die richtige Zelle zu bringen. Dem geht in der Regel eine jahrelange Forschung und Entwicklung voraus.

 

Für Schlagzeilen sorgt aktuell eine neue Gentherapie in den USA, die dort zur Behandlung der spinalen Muskelatrophie bei Säuglingen und Kleinkindern zur Anwendung kommen soll. Allerdings sind insbesondere die Kosten dieser Therapie der Diskussionsstoff. Was steckt dahinter?
Zunächst einmal: Säuglinge und Kleinkinder mit der Diagnose spinale Muskelatrophie können in der Regel weder richtig sitzen noch atmen und erreichen selten das dritte Lebensjahr. Wir reden hier über eine wirklich schwerwiegende Erkrankung. Mit dem Gentherapie-Mittel Zolgensma ist es nun gelungen, ein gesundes SMN1-Gen in die betroffenen Neuronen einzubringen – mithilfe der eben schon erwähnten Gentaxis. Zolgensma ist möglicherweise das derzeit teuerste Medikament der Welt. Wenn man die jahrzehntelange Entwicklung bedenkt sowie die aufwendige und teure Produktion der viralen Vektoren, relativieren sich die Kosten für die Therapie meiner Meinung nach jedoch. Denn man darf nicht außer Acht lassen, dass es sich bei den Vektoren um biotechnologisch hergestellte Viren handelt, die potenziell Schaden anrichten könnten. Es muss also sehr sorgfältig produziert und dokumentiert werden, um kein Risiko einzugehen.

 

Die Frage ist nur, wer diese Kosten trägt.
Das ist eine grundsätzliche Problematik, wenn es um Therapien für seltene Erkrankungen geht. Daher wird diese Thematik von offizieller Seite angegangen – beispielsweise mit der Orphan-Drugs-Verordnung der EU. Sie sorgt dafür, dass sich die Therapieentwicklung lohnt. Sie regelt andererseits aber auch klar, dass eine Erkrankung erstens selten und zweitens lebensbedrohlich und/oder mit chronischer Invalidität verbunden sein muss, damit sie den Orphan-Drug-Status erreicht. Ganz grundsätzlich denke ich jedoch, dass die Gentherapie einen breiten gesellschaftlichen Dialog erfordert, wie mit den Kosten umgegangen werden kann.

 

Wobei der Einsatz von Gentherapien ja nicht nur auf seltene Erkrankungen beschränkt sein muss.
Ja, hier sprechen Sie einen wichtigen Aspekt an. Denn die bahnbrechenden Erfolge bei seltenen Erkrankungen sind eine Art Türöffner für die Akzeptanz bei anderen Erkrankungen – beispielsweise in der Onkologie. Das US-Biotech-Unternehmen Amgen hat eine Gentherapie für die Behandlung von Melanomen entwickelt. Basis ist ein Herpes-simplex-Virus, das sich im Melanom vermehrt und die Krebszellen zerstört. Zusätzlich wird das Immunsystem alarmiert, den Tumor abzuwehren. Und wenn solche Gentherapien breiter eingesetzt werden können, würden sich natürlich auch die Kosten reduzieren – etwa, indem Virusvektoren in großen Mengen produziert werden.

 

Wir haben bisher über die in-vivo-Gentherapie gesprochen, also die Reparatur defekter Gene im menschlichen Körper. Was hat es mit der ex-vivo-Variante auf sich?
Bei der ex-vivo-Gentherapie werden Patienten Zellen entnommen, außerhalb des Körpers mit Gentherapie behandelt und anschließend wieder eingesetzt. Hierbei kann auch die sogenannte molekulare Genschere CRISPR/Cas9 verwendet werden, mit der Gene direkt ausgeschaltet oder neue Gene und sogar nützliche Mutationen eingebaut werden können. Das ist eine weitere spannende Entwicklung für die Behandlung seltener Erkrankungen, die zudem rasant fortschreitet. Allerdings bringt sie auch neue Herausforderungen mit sich, der sich der deutsche Ethikrat ganz aktuell in einer wichtigen Stellungnahme angenommen hat, die zum offenen Dialog anregt. Es wird für die Zukunft von Bedeutung sein, zu diskutieren, wo Grenzen gezogen werden sollen und müssen.

 

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