Krankheiten besser verstehen

Die Redaktion befragt Akteure zu aktuellen Entwickungen in der Gesundheitsbranche..
Juli 2019 Die Zeit Gesundheit & Volkskrankheiten

»Deutschland muss als Forschungsstandort attraktiver werden.«

Dr. Marc-Pierre Möll Geschäftsführer Bundesverband Medizintechnologie – BVMed

Die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren die Bedeutung des medizintechnischen Fortschritts für die Patientenversorgung erkannt und ressortübergreifende Initiativen gestartet, um eine abgestimmte Forschungs-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik für die MedTech-Branche auf den Weg zu bringen.


Ein solcher „Strategieprozess Medizintechnik“ ist aber die letzten Jahre erlahmt. Nun steht sogar das wertvolle Informationsportal medizintechnologie.de der Regierung nicht mehr zur Verfügung. Wir benötigen deshalb einen zeitnahen Neustart des im Koalitionsvertrag vorgesehenen Strategieprozesses Medizintechnik: ressortübergreifend, parteiübergreifend und unter Einbeziehung der MedTech-Experten. Denn die mittelständisch geprägte MedTech-Branche steht durch die EU-Medizinprodukte-Verordnung und die Digitalisierung vor großen Herausforderungen.


Um die Herausforderungen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz (KI) zielgerichtet anzugehen, benötigen wir gemeinsam mit allen Akteuren der Gesundheitswirtschaft einen Know-how-Aufbau in der Medizintechnik und eine bessere Vernetzung zwischen der Medizintechnik- und der IT-Industrie. Außerdem sollten neue und moderne Konzepte für eine anwendungsorientierte MedTech-Forschung entwickelt werden, beispielsweise durch eine neue Förderrichtlinie für KMU und digitale Innovationen. Eine zielgenaue Forschungsinitiative würde den Forschungsstandort Deutschland für MedTech-Unternehmen wieder attraktiver machen.


Gemeinsames Ziel muss es sein, Forschungsergebnisse schneller in die Versorgungspraxis zu überführen und den Patienten den medizintechnischen Fortschritt zeitnah zur Verfügung stellen zu können.


www.bvmed.de

Juli 2019 Die Zeit Gesundheit & Volkskrankheiten

»Wir beginnen, das Zusammenspiel der Gene und der Umwelt immer besser zu verstehen.«

Prof. Dr. Annette Peters Vorstandsvorsitzende NAKO Gesundheitsstudie

Große Bevölkerungsstudien sind essenziell, um das Zusammenwirken der Gene, der Umwelt und des Lebensstils zu untersuchen. Sie eignen sich besonders für Bereiche, in denen randomisierte Studien, der Goldstandard medizinischer Forschung, nicht möglich sind.


Die NAKO Gesundheitsstudie ist mit 200.000 Frauen und Männern im Alter von 20 bis 69 Jahren die größte Langzeit-Bevölkerungsstudie Deutschlands. Ziel der NAKO ist es, den Ursachen für die Entstehung von Krankheiten wie Diabetes oder Krebs auf den Grund zu gehen und so dazu beizutragen, dass Vorbeugung, Früherkennung und Behandlung in Deutschland verbessert werden. Ein wichtiges Ziel der NAKO ist es, die hervorragend gewonnenen Biomaterialien unter Einsatz modernster Technologien im Bereich der Genetik und der Genregulation zu nutzen. Wir sind heute in der Lage, die Lebensumwelt durch eine Kombination von Messungen und Modellen abzubilden. Zum Beispiel können wir satellitenbasiert lokale Ausbreitungen von Hitzewellen in den Studienregionen der NAKO modellieren oder die Langzeitbelastung durch Luftschadstoffe oder Lärm an den Wohnorten erfassen. Neue Verfahren aus dem Bereich der Stoffwechselforschung ermöglichen es, die Fußabdrücke von Umwelteinflüssen im Blut zu bestimmen.


Damit können wir das Zusammenspiel der Gene und der Umwelt besser verstehen. Hier spielt die „Epigenetik“, also die Regulation der Gene, eine entscheidende Rolle, da epigenetische Prozesse dazu dienen, die Auswirkungen von Umweltstress abzupuffern. Wir vermuten, dass dieses Gegensteuern zuerst kurzfristig erfolgt, sich aber manifestieren und auf die nächste Generation übertragen kann. Diesen biologischen Prozessen möchten wir auf die Spur kommen, um zu erklären, wer krank wird und wer gesund bleibt. Diese Erkenntnisse werden die Politik darin unterstützen, ein gesundes Lebensumfeld zu schaffen, und dem Einzelnen dabei helfen, gesundheitsorientierte Entscheidungen zu treffen.

 


www.nako.de

Juli 2019 Die Zeit Gesundheit & Volkskrankheiten

Die Regierung muss sich dem Digitalisierungsstau im Gesundheitswesen stellen

Georg Baum Hauptgeschäftsführer Deutsche Krankenhausgesellschaft – DKG

Digitalisierung kann Prävention, Behandlung und Nachsorge der Patienten vereinfachen. Sie kann Grundlage für neue Erkenntnisse bei der Behandlung von Krankheiten liefern. Sie kann Prozesse im Krankenhaus verändern und Kosten sparen. Und die Digitalisierung kann die Klinikmitarbeiter bei der täglichen Arbeit entlasten.


Elektronische Akten sind ein wesentliches Instrument, um Kommunikationsprobleme zu lösen und Kooperationen zu ermöglichen. Elektronische Datensammlungen machen Behandlungsinformationen des Patienten verfügbar und unterstützen, beispielsweise bei ungeplanten Behandlungen. Auch unabhängig von Vorerkrankungen können ältere Vergleichswerte den Ärzten bei der Diagnoseerstellung helfen. Das bietet die elektronische Patientenakte der gematik ab 2021 unter Hoheit des Patienten, der seine medizinische Biografie einsehen kann. Die elektronische Fallakte hingegen erlaubt bei Zustimmung des Patienten, einrichtungsübergreifend und behandlungsbezogen Daten zwischen Medizinern auszutauschen und damit eng verzahnte Prozesse aufzubauen. Das Telemonitoring erlaubt es heute, dass Patienten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus über Sensoren überwacht werden, zum Beispiel durch Kontrolle des Herzens nach einem Infarkt. Die Krankenhäuser wollen auch künftig Medizin- und Pflegeprozesse optimieren und die digitale Interaktion zwischen Patienten und Ärzten forcieren. Das kann aber nur gelingen, wenn die Vor- und Nachbetreuungsmöglichkeiten der Patienten durch die Krankenhäuser deutlich erweitert werden und die Finanzierung der dafür notwendigen Investitionen nachhaltig gesichert wird. Die Bundesregierung muss sich daher dringend dem Digitalisierungsstau im Gesundheitswesen stellen. Die DKG fordert ein mehrjähriges Sonderprogramm „Digitales Krankenhaus“ und einen „Digitalisierungszuschlag“ für alle Kliniken. Denn sicher ist: Die Zukunft des Gesundheitssystems ist digital.


www.dkgev.de