Die Kraft aus der Mitte

Wie wichtig die Gesundheit unserer inneren Organe ist, merken wir oft erst, wenn sie ihre Arbeit verlangsamen oder gar einstellen. Dabei haben wir es selbst in der Hand, unseren Kraftwerken etwas Gutes zu tun.
Illustration: Maria Horn
Illustration: Maria Horn
Julia Thiem Redaktion

Stellen Sie sich vor, Ihr Körper ist eine Orange. Nein, wir wollen hier nicht auf der überstrapazierten Analogie zwischen Cellulite und der Orangenhaut herumreiten. Vielmehr geht es darum, was unter der Orangenschale verborgen liegt. Dieses „Weiße“ nämlich, das ist eine Hautschicht, die man bei unbehandelten Biofrüchten unbedingt mitessen sollte, weil sie reich an Ballaststoffen ist, die die Verdauung fördern, und außerdem Vitamin C und Flavonoide enthält, die beide die Körperabwehr stärken. Außerdem hält diese weiße Haut aber das Fruchtfleisch zusammen und wirkt wie ein stützendes Korsett, das alles miteinander verbindet. Und genau diese Aufgabe kommt unseren Faszien zu, die – jahrelang ignoriert und vergessen – seit einiger Zeit im Sport und auch in der Medizin eine gewisse Prominenz erlangen.

Faszien halten alles zusammen

Ebenso wie bei der Orange ist unser ganzer Körper mit Faszien durchzogen, die alles umhüllen und so miteinander verbinden – Muskeln, Knochen, Organe, Nerven. Würde man uns „pellen“, käme also ein ähnliches Bild wie bei der Orange zum Vorschein. Der Grund, warum Faszien derzeit in aller Munde sind: Sie sollen eine zentrale Rolle für unsere Gesundheit spielen. An konkreten Forschungsergebnissen wird derzeit noch gearbeitet. Vieles deutet aber bereits darauf hin, dass die Verbindungen der Faszien und damit ihre Wirkung auf unseren Körper sehr weitreichend sind.

Wundern Sie sich also nicht, dass Sie mitten in der Behandlung von einem Therapeuten oder Osteopathen gefragt werden, ob Sie schon einmal eine Operation in der Bauchgegend hatten, während er oder sie gerade an Ihren Beinen oder am Rücken zugange ist. Ein Bauchschnitt führt logischerweise zu Veränderungen des Gewebes und damit auch der Faszien, die dann wiederum als Beschwerden an ganz anderen Stellen zu Tage treten – beispielsweise im Nacken oder an den Schultern. Aus osteopathischer Sicht liegt das oftmals an Bewegungseinschränkungen der Organe durch die Operation. Viszerale Osteopathie heißt dieser Bereich, der sich mit den inneren Organen beschäftigt. Laut dem Bundesverband der Osteopathen geht es dabei vor allem darum, Bewegungseinschränkungen zu beheben oder die fehlende Flexibilität des betroffenen Organs wiederherzustellen.

Gesunde Organe sind also sogar wichtig für unseren Bewegungsapparat. Sie haben aber auch Auswirkungen auf unsere Psyche. Fühlen wir uns schlapp, müde und sind schnell erschöpft können das Anzeichen auf eine schwache Leber oder Bauchspeicheldrüse sein. Und welchen Einfluss die Darmgesundheit auf unser Wohlbefinden hat, wissen wir spätestens seit Giulia Enders’ Bestseller „Darm mit Charme“. Es lohnt sich also, etwas Zeit in die inneren Organe zu investieren.

Yoga kann Organe stimulieren

Dafür müssen Sie nicht einmal unbedingt einen Osteopathen aufsuchen. Im Yoga sind beispielsweise die sogenannten „Twists“ eine wohltuende Massage und Stimulation für die inneren Organe. Solche Drehungen gibt es in verschiedenen Varianten, einige sanfter, andere intensiver. Ihr zugrundeliegendes Prinzip ist jedoch immer gleich: eine Rotation der Wirbelsäule. Dabei wird der Oberkörper in eine Richtung gedreht – die Bewegung kommt aus der oberen Wirbelsäule –, während das Becken relativ stabil bleibt. Relativ deshalb, weil es im Yoga nicht den einen universellen Weg gibt. Jeder Mensch ist anders in seiner Anatomie und manche mögen den Twist intensiver spüren, wenn die Hüfte leicht mit dreht. Bei einigen Drehhaltungen werden zudem die Arme als Hebel eingesetzt. Regelmäßig praktiziert, halten Twists außerdem die Gelenke der Wirbelsäule, Bandscheiben, Bänder und Muskeln geschmeidig – und Sie befreien die Atmung, indem sie die Muskeln im Brust- und Bauchraum lockern. Auch das sorgt für mehr Platz und Bewegungsfreiheit für die Bauchorgane.

Stützende Tiefenmuskulatur

Einen ähnlich hohen Stellenwert hat die Körpermitte auch im Pilates. Begründer Joseph H. Pilates nannte es das „Power House“, unser körpereigenes Kraftwerk. Gemeint hat er die vier Bauchmuskelgruppen sowie Beckenboden und die Tiefenmuskulatur der Wirbelsäule. Nach der Philosophie von Joseph Pilates liegt im Power House unsere Energie, weshalb er der Stärkung dieser Muskulatur auch eine besondere Bedeutung zuschreibt. Allen voran dem Beckenboden. Ein hochkomplexer Muskel, zu dem die wenigsten von uns bewusst Zugang haben. Dennoch spielt auch er eine wichtige Rolle für unsere Organe, ist er doch so etwas wie der untere Fallschirm, der alles im Bauchraum schützt und stützt. Gezieltes Beckenbodentraining kann sich positiv auf unsere Organe auswirken. Aber Vorsicht: Der Beckenboden arbeitet viel öfter mit als uns bewusst ist. Wird er überstrapaziert, kann er seine Arbeit einstellen – Inkontinenz ist dann nur eine mögliche Folge, die gerade bei Hochleistungssportlern keine Seltenheit ist.
Einen oberen Fallschirm gibt es im übrigen auch: unser Zwerchfell. Es bildet die Basis für die Zwerchfellatmung, die bei erwachsenen Menschen zwischen 60 und 80 Prozent der Atmung ausmacht. Es trennt die Lunge außerdem von Magen, Milz und Leber und hat somit ebenfalls direkten Kontakt zu einigen der wichtigen inneren Organe. Ist der Muskel verspannt, kann es zu einer schlechteren Durchblutung dieser Organe kommen. Entsprechend kann man auch mit verschiedenen Atemtechniken und -übungen positiven Einfluss auf die Organgesundheit nehmen. Auch hier findet man verschiedene Techniken beispielsweise im Yoga, mit denen die inneren Organe massiert und angeregt werden können.

Viel Bewegung tut gut

Unsere Organe leisten jeden Tag Großes – sei es Herz und Lungen, die Reinigungsorgane Leber, Niere und Milz oder unser gesamtes Verdauungssystem. Dennoch kümmern wir uns viel zu selten um ihr Wohlergehen. Übermäßiges Sitzen beispielsweise sorgt dafür, dass viele unserer Muskeln verkürzen, den Bauchraum dadurch verkleinern und es unseren Organen an Platz fehlt. Und natürlich hat auch unsere Ernährung einen großen Einfluss darauf, wie gut unser inneres System funktioniert. Es wird also Zeit für eine kleine Innenschau und die ein oder andere Wohltat für unsere inneren Organe. Sie werden es Ihnen danken, mit guter Laune, strahlender Haut, mehr Kraft, Energie und Wohlbefinden.

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