Wenn Arbeit krank macht

Burn-out ist keine zwangsläufige Folge von viel Arbeit. Vielmehr kommt es darauf an, ob Zwang und Frustration im Spiel sind.
Illustration: Luisa Jung
Illustration: Luisa Jung
Mirko Heinemann Redaktion

60 Stunden pro Woche wird gearbeitet. Mindestens. Vier Stunden Schlaf müssen reichen. Man ist immer erreichbar. Das Handy klingelt beim Familienfrühstück am Wochenende. Probleme, Probleme, Probleme – und wer trägt die Verantwortung? Welche Berufsgruppe wird hier skizziert? Natürlich: die Manager. Und jedem scheint klar, wohin dieser Lebenswandel führen muss: in den Burn-out.

Aber stimmt das wirklich? Sind Manager, die viel arbeiten, die stets erreichbar sind und die viel Verantwortung tragen, zwangsläufig eher vom Burn-out betroffen als ihre Untergebenen, die pünktlich um 17 Uhr den Rechner herunterfahren? Nein, sagt Burn-out-Experte Matthias Burisch: Nicht die Art oder die Tätigkeit oder das Arbeits-pensum sei ausschlaggebend, sondern die Frage, wie sehr man empfinde, dazu gezwungen zu sein. „Stress an sich führt nicht zum Burn-out. Solange man etwas freiwillig macht, Spaß daran hat und für sinnvoll hält, hat man kein Problem. Das ändert sich exakt in dem Moment, in dem jemand anders sagt: Das musst du machen!“

Burisch hat das Modell der sogenannten „Erschöpfungsspirale“ entwickelt. Danach startet ein Prozess von Burn-out dort, wo Menschen in Dissonanz zu ihrer Tätigkeit oder ihrem Leben stehen: Das kann Überforderung bei der Arbeit sein, ein Mangel an Einflussmöglichkeiten auf das Arbeitsergebnis oder Überlastung durch Faktoren wie Arbeitszeit, aber genauso gut Unterforderung oder eine eintönige Arbeit. Auch eine dauerhafte Frustration oder problematische Interaktion mit anderen Menschen, etwa in der Ehe, kann in die Burn-out-Spirale führen. Sie endet in dem Gefühl von Verzweiflung und einer negativen Einstellung zum Leben. Hoffnungslosigkeit macht sich breit. Das kann bis zu Selbstmordabsichten führen.

Seit Jahren verzeichnen die Krankenkassen eine starke Zunahme von Fehlzeiten aufgrund von Burn-out. Die Betriebskrankenkassen teilen mit, jeder zehnte Arbeitnehmer sei betroffen. Im sogenannten „Psychoreport“ der DAK Gesundheit ist die Rede von Depressionen und Burn-out bei jedem zwanzigsten Arbeitnehmer. Matthias Burisch betrachtet die Zahlen mit Skepsis. Ob Burn-out tatsächlich häufiger wird oder nur die Zahl der Krankschreibungen – man weiß es nicht sicher.

Jedenfalls beobachtet Burisch in den Unternehmen eine starke Arbeitsverdichtung. „Die halbe Belegschaft macht heute dreimal so viel wie vor zehn Jahren.“ Vor allem in börsennotierten Konzernen sei das Arbeitsklima oft nicht gut: „In Unternehmen, die ein Burn-out-Problem haben, herrscht das, was man im Amerikanischen Short Termism nennt. Also Fixierung auf die nächsten Quartalszahlen.“ Die Arbeitnehmer müssen immer effizienter arbeiten. Burisch empfiehlt: „Jeder, der im Berufsleben steht, sollte einen Plan B haben.“

In der Realität verfügen wohl die wenigsten Arbeitnehmer über einen „Plan B“. Umso wichtiger ist Vorbeugung. Einschlägige Ratgeber empfehlen, man solle Ausgleichstätigkeiten nachgehen, Sport treiben, Freizeit bewusst wahrnehmen. Empfohlen wird eine bewusste und stressfreie Ernährung, ein arbeits- und computerfreier Tag in der Woche, das Erlernen von Entspannungstechniken. Immer wieder wird betont, wie wichtig Fröhlichkeit und Lachen ist. Denn Lachen baut Stress ab, stärkt das Immunsystem und stabilisiert den Blutdruck.

Wie erkennt man einen drohenden Burn-out rechtzeitig, bevor die Erkrankung ernsthaft ausbricht? Mediziner empfehlen genaue Selbstbeobachtung und das Feedback von Familie und Mitarbeitern. Das reicht aber noch lange nicht aus: Auch das Management im Betrieb müsse sensibel für das Thema sein. Die Bundesregierung versucht, dies mit dem sogenannten „Präventionsgesetz“ zu unterstützen. Seit drei Jahren sind alle Arbeitgeber laut Arbeitsschutzgesetz verpflichtet, neben körperlichen auch die psychischen Belastungen ihrer Arbeitnehmer zu ermitteln. Darüber müssen sie einen Bericht anfertigen, die sogenannte „Gefährdungsbeurteilung“. Laut einer aktuellen Betriebsbefragung setzt aber nur die Hälfte aller Arbeitgeber diese Vorgabe um.

Doch was können die Unternehmen besser machen? Der Wirtschaftsphilosoph Gunter Dueck nennt das Betriebsklima als ausschlaggebend für die steigenden Zahlen von Burn-out-Fällen in Unternehmen. Die Verantwortung dafür liege beim Management: „Die schauen nicht auf das Optimum, sondern denken, das Maximale, was sie rausholen können, ist immer das beste“, so Dueck. „Das ist ein Irrtum. Wenn die Arbeit anspruchsvoller ist, muss das optimale Stressniveau kleiner sein.“

Gunter Dueck war als Führungskraft bei IBM dafür zuständig, industrielle Prozesse zu optimieren. Was bei Maschinen funktioniert, müsse aber scheitern, wenn es um Menschen geht. Davon handelt sein aktuelles Buch „Schwarmdumm: So blöd sind wir nur gemeinsam“. Es ist eine Anklage gegen das Optimierungs-System, wie es derzeit in den Konzernen angewandt wird, um die Arbeitseffizienz zu steigern. „Ich störe mich an den im Schwarm geteilten Glaubenssätzen des Managements, die früher einmal richtig waren und jetzt überzogen werden“, so Dueck. „Es fängt damit an, dass alles maximiert oder minimiert wird, aber eben nicht optimiert. Man fragt nicht, was eine „optimale“ Arbeitslast oder die „optimale“ Dauer einer Kundenberatung ist.“

Niemand habe mehr die Ruhe, etwa über Innovationen nachzudenken oder etwas auszuprobieren. Stattdessen würden „Brainstormings“ veranstaltet oder „Design Thinking“. Reiner Aktionismus, statt den eigenen Mitarbeitern einfach den Raum zu geben, nachzudenken und auszuprobieren. Die Instrumente, die Unternehmen weiter bringen sollen, seien höchstens dazu geeignet, den Frust zu steigern – und damit die Gefahr von Burn-out.

Die Gretchenfrage der Zukunft sei: Wie kann es gelingen, hoch qualifizierte und kreative Mitarbeiter in Konzernstrukturen einzubinden? Und dabei nicht im Burn-out zu enden? Dueck träumt von Managern, die ihre Mitarbeiter „wie Freiwillige führen und zu First-Class-Leistungen bringen“. Weg vom Dogma, Arbeit als Zwang zu begreifen. Denn, so Dueck: „Sie wollen doch arbeiten!“

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