Diversity für Deutschland?

Von wegen Vielfalt: Wenn es um die Gleichstellung der Geschlechter geht, herrscht in vielen deutschen Unternehmen eher männliche Dominanz. Auch deshalb wird der Ruf nach mehr Quoten lauter.
Illustration: Kiyoshi Stelzner
Illustration: Kiyoshi Stelzner
Julia Thiem Redaktion

Es ist eine denkbar einfache Gleichung: Je heterogener die Belegschaft, desto höher die Vielfalt an Erfahrungen, Sichtweisen und Arbeitsstilen, was wiederum zu innovativeren, passenderen und kreativeren Lösungen führt als es in einheitlichen Gruppen der Fall wäre. Man müsste also meinen, dass Unternehmen alles daran setzen, bei der Rekrutierung neuer Talente auf eine möglichst breite Streuung nach Alter, Herkunft oder Geschlecht zu setzen. Doch weit gefehlt. Hierzulande herrscht beim Thema Diversity noch Nachholbedarf – insbesondere mit Blick auf die Geschlechterverteilung: Optimistischen Schätzungen zufolge, wird sich die Frauenerwerbsquote in Deutschland erst im Jahr 2040 an 90 Prozent der Männererwerbsquote angleichen. Und eine solche Angleichung sagt noch nichts über den geschlechtsspezifischen Entgeltunterschied aus, der laut Statistischem Bundesamt aktuell bei 21 Prozent liegt. Angenommen, Männer und Frauen bekämen den gleichen Stundenlohn, bedeute das, dass Frauen ganze 77 Tage umsonst arbeiten, während ihre männlichen Kollegen vom ersten Tag an bezahlt werden.

 


Vielleicht wird auch deshalb der Ruf nach mehr Quoten in Deutschland kurz vor der Bundestagswahl immer lauter. Seit Januar letzten Jahres müssen mindestens 30 Prozent der Aufsichtsratsposten in rund 100 Unternehmen an Frauen vergeben werden. Gelingt dies nicht, bleiben die Posten unbesetzt. Nun fordert ein Bündnis von 16 Frauenverbänden, diese Quote deutlich auszuweiten und bei Nichteinhaltung mit Sanktionen zu versehen. Denn Fakt ist, dass heute die Führungsgremien der großen börsennotierten Unternehmen in Deutschland trotz des öffentlichen Drucks häufig reine Männerdomänen sind. Der Frauenanteil wächst auch mit Quote nur sehr langsam, wie die Beratungsfirma Ernst & Young ausgewertet hat. Mit Stand 1. Januar 2017 sind in den 160 Unternehmen der deutschen Aktienindizes DAX, MDAX, SDAX und TecDAX nur 45 Vorstände weiblich – immerhin sechs mehr als noch im Vorjahr. Dem gegenüber stehen 630 männliche Vorstände.

 


Doch Quoten können anscheinend langfristig etwas verändern, wie eine Untersuchung mit 1.800 Unternehmen in 20 Ländern auf Basis des Cranet-Survey zeigt, einer der umfangreichsten internationalen Studien im Bereich Personalmanagement. Denn interessanterweise sind es nicht die skandinavischen Länder – die traditionell beim Thema Geschlechtergleichheit schon sehr weit sind –, in denen besonders viele Unternehmen als selbstauferlegte Verpflichtung Diversity-Richtlinien fixiert haben, sondern die USA und Großbritannien. Den Grund hierfür sehen die Forscher darin, dass die Gleichheit der Geschlechter in skandinavischen Ländern bereits übergeordnet verankert ist. „In Norwegen gibt es beispielsweise bereits seit 2006 eine 40-Prozent-Frauenquote in Aufsichtsräten. Unternehmen müssen deshalb nicht mehr eigenständig handeln und sich selbst verpflichten,“ sagt Rüdiger Kabst, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Paderborn und deutscher Repräsentant von Cranet. Insgesamt haben 46 Prozent der befragten Unternehmen eine Diversity-Richtlinie festgelegt. In Deutschland sind es gerade einmal 25 Prozent – womöglich, weil hier eine zu homogene Gruppe von Entscheidern über die Selbstverpflichtung diskutiert?

Nächster Artikel