Auf dem Weg in eine neue Arbeitswelt

Laut Prof. Christoph Meinel werden die meisten traditionellen Arbeitsmodelle in Zukunft nicht mehr funktionieren. Ein Interview mit dem Direktor des Hasso-Plattner-Instituts.
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Prof. Dr. Christoph Meinel Direktor; Hasso-Plattner-Institut
Hasso-Plattner-Institut für Softwaresystemtechnik GmbH Beitrag

Herr Prof. Meinel, viele Experten reden von einer regelrechten Revolution, die das „Internet der Dinge und Dienste“ mit sich bringt. Wie genau sieht dieser tief greifende Wandel im Kern aus?

 

Entscheidend ist hier, dass Mensch und Maschine gemeinsame Kommunikationsnetzwerke bilden. Im Ergebnis können zukünftig Parkplätze direkt mit Autos, der Korntank direkt mit dem Traktor kommunizieren. Möglich wird das durch digitale Sensoren und Prozessorkomponenten mit eigenen digitalen Identitäten, die es erlauben, dass in der virtuellen Welt nicht nur Personen sondern auch Dinge über eindeutige Adressen miteinander interagieren können. Im Ergebnis ist jede an einem Produktionsprozess oder einem Online-Bestellvorgang beteiligte Entität – sei es ein Mensch, eine Maschine, ein Werkstück oder ein Produkt – mit jeder anderen vernetzt. Die einzelnen Maschinen in einer Fabrik können so ihre Abläufe optimieren und sich selbst organisieren. Das wird genauso auf Sportstadien und Supermärkte zutreffen. Vom digitalen Wandel ist jedes einzelne Unternehmen und damit jeder einzelne Arbeitsplatz betroffen. 

 

Das führt zu gravierenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Worauf müssen wir uns einstellen?

 

Welche gesellschaftlichen Konsequenzen die fortschreitende Vernetzung im Detail mit sich bringen wird, kann heute noch nicht annähernd erfasst werden. Viele der Folgen werden sich erst durch ein neugieriges Ausprobieren und viele Experimente herauskristallisieren. Klar ist aber jetzt schon: Die Mehrzahl der konventionellen Arbeitsmodelle wird nicht mehr funktionieren. Das Arbeitsleben wird sich zunehmend flexibler gestalten. Der typische 9-bis-17-Uhr-Job wird in wenigen Jahren wohl sicher zur Ausnahme gehören. Bestimmte Berufe werden in Zukunft völlig wegfallen. Im Rahmen ganz neuer Geschäftsmodelle werden sich aber gleichzeitig ganz neue Arbeitsplätze und -aufgaben entwickeln. Auch wird die Digitalisierung nicht nur die Aufgabenbereiche und -anforderungen ändern, sondern für eine neue Arbeitskultur in Unternehmen und Behörden sorgen.

 

Ohne zumindest grundlegende IT-Kenntnisse wird das alles nicht gehen. Das ist eine Herausforderung, auf die sich unsere Gesellschaft, aber vor allem auch unser Bildungssystem einstellen muss. Um zu diskutieren, wie der Arbeitsmarkt der digitalen Zukunft aussehen könnte, hat das Hasso-Plattner-Institut zusammen mit der kalifornischen Initiative i4j (Innovation for Jobs) in diesem Monat erstmalig den „German i4j Summit“ nach Potsdam geholt.

 

Wie sieht diese neue Arbeitskultur aus?

 

Um in der neuen Arbeitswelt langfristig erfolgreich zu sein, ist die Etablierung einer eigenen Innovationskultur unerlässlich. Gegenüber der traditionellen Verbesserung und Weiterentwicklung bestehender Produkte wird es auf breiter Front zu disruptiven Veränderungen kommen, die ganz neue Geschäftsmodelle, noch nie dagewesene Services und Produkte hervorbringen. Häufig gehen diese Impulse von Start-ups aus, die mit ganz anderen Denk- und Handlungsmustern an den Markt herangehen und sich mit einer neuen Offenheit organisieren. Gute Ideen und die Fähigkeit, abseits eingefahrener Muster zu denken, werden in Zukunft von größerer Bedeutung sein als das Steigern von Effizienz oder die Minimierung von Risiko. Gerade kreative Fähigkeiten grenzen den Menschen von Maschinen ab, die wiederum verstärkt Routinearbeiten übernehmen.

 

Wie können Unternehmen sich darauf vorbereiten?

 

Auch große, tradierte Firmen sind durchaus fähig zu Innovationen. Sie müssen dazu allerdings altbewährte Denk- und Handlungsmuster verlassen und sich auf neue Herausforderungen einlassen. Es fällt oft schwer, in der Vergangenheit erfolgreiche Ansätze und liebgewordene Gewohnheiten aufzugeben und sich damit auch wieder dem Risiko des Scheiterns auszusetzen. Die am Hasso-Plattner-Institut unterrichtete Innovationsmethode des Design Thinkings bietet Unternehmen die Möglichkeit zu erkunden, wie und in welcher Form sie ihre Arbeitskultur verändern können. Das gilt nicht nur für die IT-Branche; Design Thinking ist mittlerweile von der Deutschen Bahn über die Postbank bis zur REWE Group in fast allen Wirtschaftszweigen zu einem Treiber des Unternehmenswandels geworden.

 

Digitale Transformation aktiv zu gestalten und umzusetzen erfordert allerdings auch ein umfangreiches Wissen über technologische Entwicklungen und Managementtechniken in der Wirtschaft. Aus diesem Grund starten wir zusammen mit dem Stanford Center for Professional Development im September ein neues Weiterbildungsprogramm speziell für Führungskräfte, bei dem es um das Leadership in Belangen der digitalen Transformation und Innovation geht. Am Hasso-Plattner-Institut diskutieren die Teilnehmer die aktuellsten Forschungsergebnisse rund um digitale Technologien und lernen intensiv Design Thinking kennen. Vor Ort in Kalifornien wird es anschließend darum gehen, das unternehmerische Denken und Handeln des Silicon Valley zu erleben. Akademisches Know-how und praktisches Wissen gehen hier auf einer sehr konkreten Ebene Hand in Hand.

 

Die zunehmende Vernetzung der Dinge und Dienste löst gerade bei den KMUs große Sicherheitsbedenken aus. Zu Recht?

 

Es steht außer Frage, dass die neuen Entwicklungen eine Vielzahl von Angriffspunkten auch für ganz neue Formen der Cyberkriminalität bieten. Aktuellen Studien zufolge wurden in den vergangenen beiden Jahren fast 70 Prozent der deutschen Industrieunternehmen Opfer von Datendiebstahl, Wirtschaftsspionage oder Sabotage. In einer Welt, in der alles mit allem vernetzt ist, drohen darüber hinaus auch physische Schäden und Gefahren, wie sie etwa durch die Manipulation von Ampeln, Brandschutzanlagen oder medizinischen Geräten entstehen könnten.

 

Die Absicherung von Funknetzen und Netzinfrastrukturen ist jedoch nicht unmöglich. Sicherheitsaspekte wie Authentifizierung, Autorisierung, Absicherung der Kommunikation und Überwachung der IT-Systeme sind daher nicht nur bei uns zentrale Forschungsfragen. Problematisch ist, dass Systeme installiert werden, die kaum Schutz vor Angreifern bieten. Diese Beobachtung lässt viele Unternehmen erst einmal abwarten. Die Folge ist, dass sie Gefahr laufen, den Anschluss an wichtige Entwicklungen zum richtigen Zeitpunkt zu verpassen. Um ein Bewusstsein für die Funktionsweise von digitalen Technologien zu schaffen, bietet das Hasso-Plattner-Institut regelmäßig kostenlose MOOCs (Massive Open Online Course) auf der interaktiven Bildungsplattform openHPI an. Im Moment läuft beispielsweise ein Kurs zum Thema Industrie 4.0, der zusammen mit acatech – der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften – initiiert wurde. Mehr als 40 Experten referieren hier in aller Öffentlichkeit über ihre konkreten Erfahrungen auf diesem Gebiet und bieten praxisnahes Orientierungswissen.

 

Hasso-Plattner-Institut

 

Das Hasso-Plattner-Institut an der Universität Potsdam ist Deutschlands universitäres Exzellenz-Zentrum für IT-Systems Engineering. Schwerpunkt der HPI-Lehre und -Forschung sind die Grundlagen und Anwendungen großer, hoch komplexer und vernetzter IT-Systeme. Hinzu kommt das Entwickeln und Erforschen nutzerorientierter Innovationen für alle Lebensbereiche. Ein Zusatzstudium ist an der HPI School of Design Thinking möglich, Europas erster Innovationsschule für Studenten nach dem Vorbild der Stanforder d.school. Mit openHPI.de bietet das Institut seit September 2012 ein interaktives Internet-Bildungsnetzwerk an, das jedem offen steht.

 

www.hpi.de

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