»Die Zukunft gehört nicht den Robotern...«

Ken Goldberg von der Universität Berkeley über Künstliche Intelligenz und sein Konzept der Multiplizität, das auf die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine setzt.
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Mirko Heinemann Redaktion

Die Idee der Künstlichen Intelligenz, englisch: Artificial Intelligence oder AI, fasziniert die Menschen schon seit jeher. Wo befinden wir uns auf dem Weg zur Entwicklung von AI?

 

Ich finde den Begriff der Artificial Intelligence, der schon seit 1956 existiert, aus zwei Gründen problematisch: Zum einen mag ich den Begriff des Künstlichen nicht, weil er irreführend ist. Er impliziert, dass es um etwas geht, das nicht echt ist, nicht wirklich brauchbar. Auch mit dem Begriff der Intelligenz habe ich meine Probleme, weil er bereits eine sehr komplexe Geschichte hat. Er erinnert mich zudem an Intelligenztests und beinhaltet auch die militärische Komponente der Aufklärung, wie das Wort im Englischen benutzt wird. Denken Sie an die CIA, die Central Intelligence Agency. Insofern sind beide Begriffe bereits sehr stark aufgeladen. Benutzt man sie zusammen, entsteht ein furchterregender Terminus, der den Chancen der Digitalisierung nicht gerecht wird. 

 

In der Tat warnen viele Wissenschaftler vor AI. Der Physiker Stephen Hawking sagte einmal, die Erfindung von AI wäre das größte Ereignis in der Geschichte der Menschheit – wohl aber auch das letzte.  

 

Ich glaube nicht daran, dass Maschinen in naher Zukunft eine dem Menschen ebenbürtige Intelligenz entwickeln. Es wird viele Weiterentwicklungen geben, Bild- und Spracherkennung, Textarbeiten, aber Innovation und Kreativität werden eine Domäne des Menschen bleiben. Deshalb favorisiere ich einen anderen Begriff, der ebenfalls im Jahr 1956 geprägt wurde: IA, Intelligence Amplification, also die Verstärkung der menschlichen Intelligenz. IA ist als Idee viel spannender, zukunftsträchtiger und mit der menschlichen Erfahrung viel besser vereinbar. Hier geht es nicht darum, Menschen zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen. 

 

Die Furcht, ersetzbar zu sein, treibt in der Tat viele um. Wer könnte in Zukunft ersetzt werden?

 

In seinem Buch „Rise of the Robots“ beschreibt der Software-Entwickler Martin Ford Software-Systeme, die die Arbeit von Anwälten, Projektmanagern, Journalisten, Programmierern, Erfindern und Musikern übernehmen. Den Beweis dafür bleibt er schuldig. Außerdem halte ich die These historisch für nicht haltbar, dass es ein festes Volumen an Arbeit gibt und technischer Fortschritt immer Arbeitsplätze kostet. Es gibt unzählige Ausgleichseffekte, die neue Arbeitsplätze schaffen, dazu gehören etwa die Globalisierung oder die Demokratisierung der Belegschaft. 

 

Wie halten Sie dagegen?

 

Mit dem Konzept der Multiplizität. Im Gegensatz zur Singularität, nämlich der Idee, dass Roboter ihre Aufgaben möglichst autonom ausführen sollen, ohne menschliches Zutun. Multiplizität ist eine positive Vision: Roboter werden nicht allmählich alle Bereiche menschlichen Handelns übernehmen, sondern stattdessen eine Zusammenarbeit eingehen. Das Potenzial ist enorm. Die Vorteile der Maschinen: Sie sind sehr präzise, sie können endlose Wiederholungen ausführen, rechnen und Strukturen erkennen. Menschen hingegen haben kognitive Fähigkeiten. Sie verstehen die Zusammenhänge, sie können menschliche Gefühle interpretieren und Ausnahmen von der Regel ausmachen. Wenn wir herausfinden, wie wir die Eigenschaften von Mensch und Maschine effizient kombinieren können, werden wir einen ungeheuren Entwicklungsschub erleben. 

 

Können Sie ein Beispiel für Multiplizität nennen?

 

Ein gutes Beispiel ist die Google-Suchmaschine. Sie nutzt die zahlreichen Eingaben der Menschen, die sie benutzen und verknüpft sie mit einem Algorithmus. Damit ist sie in der Lage, immer präzisere Antworten zu geben. Ähnlich bei der Sprachsteuerung: Sie setzt ein selbstlernendes System voraus, das menschliche und maschinelle Daten verknüpft und auf diese Weise immer besser wird. 

 

In Ordnung, aber hier ist die Multiplizität ja Grundvoraussetzung. Eine Suchmaschine oder ein Sprachcomputer ohne menschlichen User hätte keinen Sinn...

 

Dann nehmen wir das Autofahren. Derzeit ist es noch ein menschliches System: Der Mensch fährt das Auto. Google konzentriert sich darauf, ein autonomes Auto zu entwickeln, in dem die Menschen Passagiere sind. Beides sind extreme Sichtweisen. Multiplizität würde besagen, dass die beste Lösung die Kombination der Stärken beider Systeme wäre. Das Auto wäre zwar in der Lage autonom zu fahren, aber in bestimmten Situationen würde der menschliche Fahrer übernehmen. Solche Fahrassistenzsysteme werden sich in den nächsten fünf Jahren stark fortentwickeln. Worauf ich hinaus will: Wir können eine Menge gewinnen, wenn bei der weiteren Entwicklung der Digitalisierung der Mensch als kollaborativer Faktor mit einbezogen wird. Die Zukunft gehört nicht den Robotern, sondern der Zusammenarbeit zwischen Menschen und Robotern: Das ist Multiplizität. 

 

In Deutschland sprechen alle von Industrie 4.0, den Potenzialen der Digitalisierung der Produktion. Welche Rolle werden Menschen hier in Zukunft spielen?

 

Ich finde das Konzept der Industrie 4.0 sehr interessant. Die Grundidee ist dieselbe, die auch hinter unserem Terminus „Cloud
Robotics“ steht: Wie können wir das Internet einsetzen, um mit selbstlernenden Systemen die Maschinen zu verbessern und die Produktionsabläufe noch weiter zu optimieren? Ich halte Industrie 4.0 für ein ideales Praxisbeispiel für Multiplizität. Denn auch hier ist die Furcht vor dem Verlust von Arbeitsplätzen unbegründet. Niemand hat ein Interesse daran, Menschen zu ersetzen. Es geht vielmehr darum, die Arbeit für die Menschen angenehmer und attraktiver zu machen.

 

Und wenn die Roboter am Ende doch alles übernehmen?

 

Nein, davon gehe ich nicht aus. Es gab auch zu Beginn der Industrialisierung die Befüchtung, dass die Dampfmaschinen alles übernehmen. Die Maschinen werden nur das übernehmen, was wir ihnen zugestehen. Alles andere ist Science Fiction. 

 

Ken Goldberg; ist Professor für Industrial Engineering und Operations Research in Robotics, Automation und Neue Medien an der Universität von Berkeley, Kalifornien. 

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